Individuelles Scheitern statt gemeinsamer Kämpfe – zum Spannungsverhältnis von neoliberaler Wellness-Ideologie und Emanzipation

Meistens werden Vorstellungen von der Verbesserung des Menschen zusammengedacht mit der Verbesserung der Gesellschaft, freilich in unterschiedlichen Formen. Galt den Anhänger*innen der Lebensreformbewegung Ende des 19. Jahrhunderts die Gesellschaft als genauso erkrankt wie der einzelne Mensch und suchten sie alternative Formen der Heilung, die vor allem starke ästhetische Anteile aufwiesen, finden sich heute neue Formen von Glücksversprechen, die auf den ersten Blick ähnlichen Inhalts sind. Es handelt sich um die Vorstellung der Perfektionierung und Rhythmisierung des eigenen Lebens, das durch die permanente Erhebung und simultaner Auswertung von Daten in einen optimalen Zustand gebracht werden soll. Achtsamkeit, Wellness und die sich selbst so bezeichnende Positive Psychologie stellen ein Instrumentarium zur Verfügung, mit dem jede*r Einzelne sich, den Körper und seine Emotionen moderieren und balancieren kann. Diese Techniken sind gegenüber den Einflüssen sozialer Ungleichheit praktisch blind und verweisen die Verarbeitung erlittener Folgen sozialer Ungleichbehandlung an das Individuum, das auch die Verantwortung für sein eigenes Scheitern zu tragen habe. Damit sind diese Technologien direkt an neoliberale Gesellschaftsvorstellungen anschlussfähig.

Der Vortrag wird sich dieses Spannungsfelds annehmen und anhand konkreter Beispiele die problematischen Aspekte der neuen Wellness-Ideologie und ihres Verhältnisses zu struktureller sozialer Ungleichheit herausarbeiten.

Referent_in / Kooperationspartner_innen:

Dr. Klemens Ketelhut

Eintritt:

frei