Gemeinsames Grußwort der Veranstalter_innen
Liebe Leser_innen,
als Veranstalter_innen der diesjährigen Hirschfeld-Tage begrüßen wir Sie ganz herzlich.
Zum mittlerweile dritten Mal, nach 2012 in Berlin und 2014 in Nordrhein-Westfalen, finden die Hirschfeld-Tage 2016 in Sachsen, in Sachsen-Anhalt und in Thüringen statt. Erstmals werden die Veranstaltungen und Aktionen somit nicht nur in drei Bundesländern gemeinsam, sondern in stärker ländlich geprägten Regionen ausgerichtet. Gerade dieser Umstand bedeutet für Menschen jenseits der Hetero- und Geschlechtsnorm eine besondere Herausforderung: Häufig fehlen erreichbare Beratungs- und Anlaufstellen sowie (sozio-)kulturelle Angebote. Auch die hier arbeitenden Gruppen und Projekte kommen – da sie fast ausschließlich oder sogar komplett aus ehrenamtlich arbeitenden Menschen bestehen – schnell an ihre Grenzen. Unsere Veranstaltungen zu den diesjährigen Hirschfeld-Tagen sollen die Fehlstellen deutlich machen sowie auf die Aktivitäten der existierenden Initiativen verweisen und diese sichtbar machen.
Wir wollen unsere Arbeit so vielen Menschen wie möglich näherbringen. Unser Anspruch ist es, heutige Herausforderungen, Errungenschaften und Chancen in einem gesamthistorischen Kontext zu verorten. Nur durch jahrzehntelanges Engagement konnte beispielsweise 1994 der „Schwulenparagraph“ §175 StGB abgeschafft, die Eingetragene Lebenspartnerschaft erreicht und ein Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) aufgestellt werden, das auch die sexuelle Identität schützt.
Diese Errungenschaften sind in neuester Zeit jedoch einer zunehmend gefährlichen Gegenbewegung ausgesetzt: Rechts-Konservative und -Populisten von vermeintlich „besorgten Eltern“, über Pegida bis hin zur AfD und anderen greifen nicht nur den gesellschaftlichen Konsens der freien Persönlichkeitsentwicklung für alle Menschen an, sondern auch die emanzipatorischen Bestrebungen, die uns hierzu geführt haben und die sich aktuell engagieren (das verstehe ich nicht, also grammatikalisch: wer engagiert sich hier? Die Bestrebungen und Errungenschaften?). Diese reaktionären Strömungen beginnen rechts außen; leider enden sie nicht dort, sondern reichen oft bis in die „Mitte“ der Gesellschaft.
Nicht nur emanzipatorische Errungenschaften hin zu einer rechtlichen Gleichstellung sind für uns von Bedeutung. Es sind die Abwertungen und Diskriminierungen im Alltag, im „Kleinen“, die bei näherer Betrachtung gar nicht mehr so klein sind und viele von uns seit Jahren begleiten. Homosexuelle, trans*geschlechtliche Menschen, Geflüchtete, zwischengeschlechtliche oder intergeschlechtliche Menschen, Queere, Frauen, Migrant_innen, People of Colour, Menschen, die gesellschaftlich behindert werden, kurz: die „Anderen“ werden für ihre Identitäten, Körper und Lebensentwürfe, die sich der sogenannten Norm entziehen, im zwischenmenschlichen Miteinander sanktioniert. Es geht uns also auch darum, eine heterosexistische Norm zu hinterfragen, sich nicht nur in bestehende Wertesysteme einzuordnen um akzeptiert zu werden, sondern ein breites Spektrum an Lebens- und Liebesweisen zu zeigen.
Mit den Hirschfeld-Tagen wollen wir uns für eine umfassende Aufklärung und Emanzipation einsetzen. Dabei machen wir auch nicht an den Grenzen vermeintlicher Kategorien halt. So stehen wir zusammen, wenn Geflüchtete zu Feinden abgestempelt werden, wenn Religionen zu Hassobjekten erklärt werden, wenn Menschen wegen ihres Begehrens oder Geschlechts, ihrer Befähigung oder irgendeiner anderen (vermeintlichen) Eigenschaft diskriminiert werden. Parteien und politische Institutionen wie beispielsweise Verwaltungen, die Homosexualität trotz Strafverfolgung nicht als Asylgrund anerkennen und Abschiebungen Homosexueller in Staaten tolerieren, in denen eben diesen Menschen Verfolgung droht, machen sich zum Mittäter. Wer gleiche Rechte verwehrt, liefert rechten Gruppierungen deren Argumente! Unsere Alternative heißt Aufklärung, und unsere Solidarität wirkt!
Entsprechend breit gefächert sind auch die Veranstaltungen, die Sie im Rahmen der Hirschfeld-Tage 2016 besuchen können. In Leipzig werden Filme zum Thema sexueller Konsens und zur Bedeutung von Transfrauen of Colour in der LSBTTIQ-Geschichte gezeigt. In Dresden finden Workshops zum Thema Bi- und Asexualität statt. In Halle dreht es sich einen ganzen Abend lang um LSBTTIQ Menschen in Nepal und in einer Fotoausstellung wird sich die Frage nach dem Zusammenhang von Körper und Geschlecht gefragt. In Weimar kann man etwas über queere, Schwarze Musikgeschichte lernen und auf einen Audiowalk zu queeren Utopien gehen. In Erfurt gibt es eine Lesung zu queerer Literatur aus Syrien und einen Vortrag zu pro- und antifeministischen Männerbewegungen.
Und das sind bei Weitem nicht alle Städte oder nennenswerten Veranstaltungen der diesjährigen Hirschfeld-Tage. Das Programm ist vielfältig und aufregend.
Mit der begleitenden Postkarten-Kampagne würdigen wir bedeutende Personen der Emanzipationsbewegungen, die noch viel zu wenig bekannt sind: Magnus Hirschfeld (1868-1935), der in Magdeburg seine Weltkarriere begann und zum Mitgründer der ersten Homosexuellenbewegung wurde; Hilde Radusch (1903-1994), aufgewachsen in Weimar, die den Berliner Frauenbund mitgründete und zu einer Leitfigur der lesbisch-feministischen Bewegung wurde ; Rudolf Brazda (1913-2011), der dem NS-Konzentrationslager in Buchenwald entkam und selbstbewusst schwul mit seinem Partner in Frankreich zusammenlebte; die dänische Künstlerin Lilie Elbe (1882-1931), die als weltweit erste Transfrau gilt, die sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzog und deren Grabstätte in diesem Jahr in Dresden wiedererrichtet wurde.
Zum Schluss wollen wir allen Unterstützer_innen danken: Allen voran den vielen ehrenamtlichen Menschen, die sich für unsere Ziele engagieren, die Gesicht zeigen, indem sie bei Ungerechtigkeit oder Diskriminierung aufstehen oder uns den Rücken stärken: Auch wenn wir nur 9 Vereine aus den Regionen sind, so stehen wir doch mit unzähligen Menschen in unseren Communities und der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld zusammen. Ihnen allen und den finanziellen und ideellen Förder_innen der Hirschfeld-Tage gebührt größter Dank!
Die Veranstalter_innen